Als Rolli-Student in England

Ich habe 2002 ein Semester in England studiert.
Speziell unter dem Blickwinkel "Behinderte" kann ich hier zusammenfassen:
An der Universität überhaupt keine Probleme: eine eigene Dienststelle kümmert sich um die Betreuung der Behinderten, klärt mit den Professoren notwendige Sonderregelungen, besorgt Hilfskräfte zum Mitschreiben etc. (In England sind z.B. Legastheniker Behinderte und können mit beigestellter Hilfe studieren!).
Die Stadt Bath (in der Nähe von Bristol) selbst ist nicht ganz so problemlos: sie ist etwas hügelig

und steht in großen Teilen als im 18. Jahrhundert erbautes Ensemble unter Denkmalschutz (seit 1987 Weltkulturerbe)
Schwierig war für mich das Wohnen. Die Apartments der Uni waren belegt und bieten auch keine Möglichkeit für gemeinsames Wohnen mit den Helfern; wir mussten ein Haus mieten; die Vermietung an mich als Rollifahrer musste bei der Stadt angezeigt und genehmigt werden; die bemerkenswert hohe Bürgersteuer musste von meinen Eltern (als Helfer) bezalht werden , allerdings mit deutlicher Ermäßigung. Schlafräume und Bad waren im Obergeschoss, wir mussten im Erdgeschoss für mich etwas "zaubern"; das Wohnzimmer wurde angepasst als mein Arbeitszimmer (rechts das Behelfsbett für den Pfleger) und Schlafzimmer.
Dankenswerterweise hat der DAAD einen großen Teil der hierdurch entstandenen Mehrkosten
(auch für Fährkosten, Automitnahme, höhere Lebenshaltungskosten etc.) übernommen.

Die meisten Kommunen haben in der Nähe des Bahnhofs bzw. des Busbahnhofs ein "mobility center", in dem man preiswert Rollstühle mieten kann. Orthopädiegeschäfte oder Rollstuhlspezialisten dagegen gibt es kaum; die Versorgung läuft über den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS; das englische Problemkind). Bei meinen Problemen (Plattfuß, Korrektur der Einstellung) hat das örtliche Fachgeschäft für Fahrräder vorbildlich geholfen.

Überhaupt habe ich in England weniger Diskriminierung, aber viel Rücksicht und freundliches Entgegenkommen erfahren. Als Terry Pratchett z.B. im Buchladen signierte, hat man mich sofort ganz vorn in die Schlange eingereiht (wie übrigens auch bei vielen anderen Schlangen).
Mag sein, dass die Engländer von Natur aus so sind; sie tolerieren ja auch bei ihren Mitmenschen so manche merkwürdigen Schrullen.
sie haben aber auch schon länger ein Gleichstellungsgesetz (Disabled Discrimation Act von 1995), und deshalb gibt es alle Dokumente, Rechnungen etc. auch in Großschrift, Braille-Schrift, vorgelesen, mit Spezialtelefon usw..
Behindertenkennzeichen gibt es nicht nur als Aufkleber.
Die Ampeln geben Geräusche und das Pflaster ist besonders markiert (unterschiedlich für kommend und gehend!)
Selbst in historischen Gebäuden gibt es Behindertentoiletten
(Im gleichen Gebäude - dem Rathaus in Marlborough - gibt es einen Mini-Aufzug zur Überbrückung einer Empore im historischen Ratssaal!).
Personenbezogene Behindertenparkplätze sind auffallend markiert
Große Hotels sind auf Behinderte eingestellt
ebenso wie der kleine Imbiss in Bath
Kommen wir zum sightseeing, für die meisten sowieso wohl wahrscheinlicher als ein längerer Aufenthalt.
Vorab: In London waren wir diesmal nicht. Dort - wie überall - viel Licht und Schatten; Infos über den Autor.
Die allgemeinen Unterlagen (Reiseführer, Handbook Historic Houses & Gardens, Handbook National Trust, Unterlagen des English Heritage etc) geben im allgemeinen verlässliche Hinweise zur Zugänglichkeit; für ca. 6 GBP gibt es bei Holiday Care (mail) einen jährlich aktualisierten Guide "Accessible Britain".
Bei persönlichen Auskünften ist Vorsicht geboten, allerdings haben wir die Engländer dann vor Ort immer sehr hilfsbereit kennen gelernt.
Übernachten wird man in größeren Hotels, wir haben von rollstuhlgängigen Bed & Breakfast-Adressen nur von langjährigen Spezialisten gehört (also ggf. sorgfältige Vorbereitung!!).
Einige unserer Ziele außerhalb des Standortes Bath sind hier aufgeführt:
Hierzu ein paar Einzelhinweise:
Bowood House and Gardens

Herrensitz des Marquis von Lansdowne, eines der vielen Herrenhäuser, die im Reiseführer keinen Stern haben oder gar nicht erst erwähnt, aber trotzdem sehenswert sind.
Schöne Bildergalerie, historisches Labor, wo Priestley 1774 erstmals Souerstoff nachwies,

sehenswerte Bibliothek:
alles im Erdgeschoss, mit Rampe und Öffnen des Türflügles kein Problem; kein Zugang zu den Obergeschossen, aber zu verschmerzen (Ausstellungsstücke aus der Familiengeschichte; allerdings historisch interessant).
Schöner englischer Garten.

Sehr sehenswerter Rhododendron-Park,
aber Vorsicht: auf den Nebenwegen wird es abenteuerlich:

c
Hestercombe Gardens (Nähe Taunton)
Auf keiner der Karten mit Sehenswürdigkeiten oder im Reiseführer, aber ein vollmundiger Prospekt hat uns hierher gelockt.
Eigentlich schöner Landschaftsgarten, aber nur sehr bedingt für Rollstuhlfahrer zugänglich! ("teilweise" steht im Prospekt!).

Ironbridge
Wiege der modernen Industrie, erste Hochöfen, Weltkulturerbe.
Gut zugänglich, hoher Spassfaktor im Historischen Dorf, empfehlenswert (Sammelkarte sinnvoll).
Longleat

Sitz des Marquis von Bath, eines hochinteressanten "bunten Vogels" der englischen Aristokratie. Er vermarktete als erster seinen Besitz, weil das Geld sonst nicht reichte (die Unterhaltung von Haus und Garten kostet viel, - seine eigene Unterhaltung allerdings auch: in der Eingangshalle des riesigen viktorianischen Schlosses brüstet sich der Marwuis mit Zeitungskarrikaturen seiner vielen Affären).
Mit Abenteuer- und Safari-Park, wem sowas Spass macht, kaufe den Longleat-Passport.
Schloss mit den meisten Räumen über Hintereingang auch für Rollifahrer; nicht ehrenrührig, weil der gleiche alte Aufzug auch zu den Privatgemächern der Herrschaften führt. Sehr freundliches Personal!.
Glastonbury

Den Ort muss man sehen, weil Esoterik-Zentrum.
Die Ruinen des einst mächtigsten Klosters Englands - eine Story u.a. mit König Artus und Heinrich VIII -; allerdings sind z.T. - weil Wiese und alte Klamotten - nur bedingt zugänglich.
Ich fand es trotzdem sehenswert.
Magischer Ring
Bath - Hungerford - Bradford-on-Avon - Kennet&Avon-Kanal - Marlborough - Avebury - Bowood - Bath

Interessante 1- oder 2-Tagesrundreise mit Auto zwischen Bath und Marlborough (Einzelheiten auf der
Familienhomepage).
Für Rollstuhlfahrer z.T. eingeschränkte Besichtigung: Feldwege zu Steinzeitgräbern oder Rundgang zwischen den Menhiren von Avebury kaum befahrbar.
Weil aber hochinteressant, sollte man den Versuch (mit Hilfe) wagen!.
Stonehenge

4000 Jahre alte Steinsetzung, berühmtestes prähistorisches Denkmal Großbritanniens, drei Sterne, Weltkulturerbe, bestens erschlossen, sehr empfehlenswert.
Stourhead

Wunderschönes Beispiel englischer Gartenbaukunst. Bis auf kleine Steigungen gut zugänglich (aber auf im Handzettel empfohlene Route achten!). Behindertenparkplatz direkt am Eingang (vermeidet Fußweg).
Sehr fotogen und empfehlenswert.
Schlusswort
Aufgrund des "disabilty acts" von 1995 hat England etliches zur Gleichstellung von behinderten Menschen unternommen.
Sehenswürdigkeiten, Schlösser, Gärten, Kathedralen gibt es mehr als genug.
Fahren Sie hin und sehen Sie selbst. (Und nehmen Sie ein bisschen mehr Geld mit, England ist noch teurer als Kontinental-Europa).
Have a good time; I had it, too.
